Zwischen Tölt und Piaffe: Die Faszination barocker Gangpferde

Im Mittelalter waren sie die begehrtesten Reitpferde. So wertvoll, dass sie dem Adel und hohen Geistlichen vorbehalten waren. Die Rede ist vom Zelter – heute würden wir Tölter sagen. Und sie erleben derzeit eine Renaissance.

Früher Statussymbol…

Stich von Baron d’Eisenberg: Bis in die Neuzeit dienten ausdrucksstarke und dazu bequeme, töltende Pferde dem Prunk hoher Geistlicher und als sichere Reisepferde fürstlicher Höfe. Ridinger- Stiche zeigen, dass der Tölter noch im 18. Jahrhundert ganz in das klassische Ausbildungssystem eingebunden wurde.“ – so berichtet die Historikerin und IGV-Ausbilderin Kaja Stürenberg auf ihrer Webseite (www.kajastuehrenberg.de)
Die eleganten Passgänger oder Tölter (Zelter) dienten als wertvolle Paradepferde für Fürsten und Könige und als sichere, bequeme Reit- und Reisepferde für Damen. „Im (…) Mittelalter hatten Tölter unter der Bezeichnung Palefridus (in England: Palfrey) ihre Einsatzgebiete und große Wertschätzung. Ein Palefridus war ein bequemes, leichtes Reisepferd, das von Rittern während ihres Marsches genutzt wurde; die schweren, unbequemen Kriegsrösser (Dextrarius) wurden währenddessen an der Hand geführt. Ein Zeugnis dessen findet sich z.B. auf dem Teppich von Bayeux.“ weiß das Buch „Die Gangpferdereitlehre“ von Kaja Stührenberg zu berichten. Und führt weiter aus: „Eine weitere Verwendung und Wertschätzung fanden die bequemen Gangpferde im Mittelalter als Reittiere bei der Jagd mit den empfindlichen Falken oder auch als bequeme Reittiere für Damen oder Geistliche.“  

…heute auf dem europäischen Festland fast in Vergessenheit geraten

Wie kam es also dazu, dass der einst so kostbare und begehrte Tölter für die Mehrheit heutiger Reiter geradezu als Exot gilt? Die Erklärung dafür liegt in der Nutzung der Pferde in der Neuzeit. Im Buch „Tölt verstehen und besser reiten“ ist nachzulesen, dass sich das Idealbild des Pferdes in den letzten Jahrhunderten erheblich wandelte, ausgelöst durch das Aufkommen von Kutschen, die auf schnelle (Truppen-)Bewegungen ausgelegte Militär- und Gebrauchsreiterei und die dadurch veränderten Ansprüche an das Pferd.
 
Zusammen mit der veränderten Nutzung entfernten sich auch das Exterieur, der Gang und die Ausbildung der Pferde zunehmend von den Idealen der Schulreiterei, die im Barock ihre Blüte entfaltete. So kamen in der Neuzeit zunehmend Voll- und Warmblutpferde in Mode, deren Stärke nicht mehr die Versammlung, sondern das schnelle Vorwärts darstellte.
 
Diese Entwicklung prägte die Reiterei nachhaltig und bildet bis zum heutigen Tag den Grundstein für die Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. (FN). „Die modernen Reitlehren der Neuzeit mit ihrem Schwerpunkt auf einfache Beritt-Machung ihrer Rekruten konzentrierten sich auf die Ausbildung für schnelles Gelände- und Formationsreiten. Das Interesse am Tölt und das Wissen über Tölt verschwanden.“ Ist in der „Gangpferdereitlehre“ nachzulesen. Die Schulreiterei galt hingegen zunehmend als unmodern und der dazugehörige Pferdetypus wurde nicht weiter benötigt. 
Barocke Pferde liegen im Trend. Wenn sie dann als i-Tüpfelchen auch noch tölten, werden Reiterwünsche wahr. Hier die Friesen-Paso-Kreuzung „Flora” und der Paso Iberoamericano Diamanten de Monte. Flora ist Gangpferd des Jahres 2021, Diamante ist Vize-Gangpferd des Jahres 2021. Beide Pferde konnten mehrere deutsche Meistertitel im Gangreiten erzielen und beherrschen zudem auch Lektionen bis zur hohen Schule.
   

Gangpferde weltweit – gar nicht so exotisch, wie man denkt

Wo man auch heute noch weite Strecken zu Pferd zurücklegt, blieben Gangpferde als bequeme Reisepferde erhalten. Dieser Paso Peruano macht auch unter dem Damensattel eine gute Figur und lässt seine Reiterin bequem sitzen.
Etwas anders verlief die Geschichte der töltenden Pferde auf dem amerikanischen Kontinent.
Zusammen mit den spanischen Eroberern reisten auf den Schiffen auch iberisch-stämmige Pferde mit. Die Conquistadores brachten die zur Zeit der Eroberung im späten 15. Jahrhundert noch so begehrten Zelter mit auf den neuen Kontinent. Die Eroberung Amerikas wäre ohne die mitgebrachten Pferde der Conquistadores wohl nicht möglich gewesen.
 
Unter anderem in Südamerika begründeten diese iberischen Tölter Zuchtlinien von Gangpferden, die bis heute fortbestehen und die weltweit begehrt und geschätzt sind.
Berühmt ist beispielsweise die Rasse Mangalarga Marchador, die auf den portugiesischen Altér Real-Hengst (also einen Lusitano) namens Sublime zurückgeht.
 
Die bequemen, töltenden Pferde wurden und werden auf dem amerikanischen Kontinent zum Reisen durch das unwegsame Gelände und zum Kontrollieren der großen Ländereien hoch geschätzt und ihr Erbe wird nach wie vor gepflegt.
 
Doch auch in Europa sind Gangpferde verbreiteter, als man wohl denkt. „Wer heute im spanischen und portugiesischen Hinterland dabei ist, wenn beispielsweise die Rinder über viele Hundert Kilometer getrieben werden, wird feststellen, dass die berittenen Hirten oftmals nicht auf trabenden, sondern auf bequemen töltenden Pferden unterwegs sind,“ wusste Andrea Jänisch im Rahmen der Equitana Open Air 2022 zu berichten. Bei dieses Pferden handelt es sich in der Regel um Lusitanos, PREs oder Kreuzungen, die den Tölt noch immer in ihren Genen tragen.
 
Immer wieder fallen dem geschulten Auge ganz klassisch gezogene iberische Pferde mit deutlicher Töltveranlagung auf. Diese Pferde zeigen den Tölt bevorzugt in solchen Momenten, in denen sie etwas aufgeregt sind – dies kann von einer gewissen Gangverschiebung bis hin zu meterlangem, taktklaren Tölt reichen. Wer einmal mit offenen Augen über die Abreiteplätze bei Barockpferdeturnieren oder Messen schlendert oder sich einmal eine Feria in Spanien oder Portugal anschaut, wird sicherlich den einen oder anderen Lusitano oder Spanier tölten sehen. 

Der Traum vom Barockpferd mit dem vierten Gang

Ein Pferd, das im Dressurviereck das Talent barocker Pferde bis hin zu schwierigsten Lektionen zeigt und zugleich im Gelände stundenlang ermüdungsfrei im bequemen Tölt zu reiten ist, klingt für viele Reiter wie ein Traum oder ein unvereinbarer Widerspruch…
…Dabei ist es nur die Rückbesinnung auf einen fast vergessenen Pferdetyp.
Im Rahmen der heutigen Renaissance akademischer Reitkunst und der Barockreiterei wuchs in den letzten Jahrzehnten auch in Europa wieder das Interesse an den Idealen der barocken Reitmeister.
 
Damit einher geht der Wunsch nach Pferden, die auch dem Pferdetypus der damaligen Zeit entsprechen. In iberischen Pferden wie dem PRE und dem Lusitano verwirklicht sich dieser Wunsch zahlreicher Reiter nach einem versammlungsbereiten Pferd mit dem angeborenen Talent für die Lektionen der hohen Schule. Was liegt also näher, als auch den einstmals so geschätzten Tölt wieder (neu) aufleben zu lassen?
 

Der Paso Iberoamericano: Symbiose von Tölt und Barockpferd

Der Paso Iberoamericano ist die Symbiose aus barockem Dressur- und bequemem Gangpferd. Die im Barockpferdetyp stehenden Pferde decken mit ihrem Stockmaß von bis zu über 160 cm auch größere Reiter gut ab. Ihre raumgreifenden, energischen Grundgangarten, gepaart mit hoher Versammlungsbereitschaft, machen diese Pferde zu hervorragenden Dressurpferden. Der zusätzlich vorhandene Tölt ist das sprichwörtliche Sahnehäubchen für Reiter, die es bequem mögen. Paso Iberoamericanos verbinden auch im Interieur die positiven Eigenschaften ihrer Ursprungsrassen: Das menschenbezogene, kooperative Wesen iberischer Pferde trifft auf die aufmerksame Reaktions- und Leistungsbereitschaft der südamerikanischen Pasopferde. Diese Kombination macht Paso Iberoamericanos zu vielseitigen Freizeit-, aber auch Turnierpferden, die sich für das Wanderreiten genauso gut eigenen wie für den Sport auf der Ovalbahn, die Working Equitation und das Dressurviereck.
Schon im Fohlenalter zeigen sich genetisch fixierter Gang…
…und Versammlungsbereitschaft (wie hier bei Tîtania Real im Alter von 4 Monaten)
 
Zuchtziel einer Rasse, die dem historischen Zelter sehr nah kommt, ist ein ausdrucksvolles, repräsentatives, viergängiges Pferd, das seinen Reiter sicher und komfortabel im Tölt zu tragen vermag und dabei zugleich eine deutliche Versammlungsfähigkeit aufweist.
 
Bei dieser Rasse handelt es sich um den Paso Iberoamericano. Er vereint dazu die Vorzüge nah verwandter Pferderassen, nämlich Rittigkeit und Dressurbegabung von PRE oder Lusitano mit dem Gang und dem Arbeitseifer südamerikanischer Pasopferde (z.B. Paso Fino, Paso Peruano oder Mangalarga Marchador). Das Ergebnis ist ein vollwertiges Barockpferd, das als Sahnehäubchen auch noch den legendären Tölt beherrscht. Gezüchtet werden „Paso Iberos“ (so die Kurzform) ursprünglich in Costa Rica. 
 
In Europa sind Paso Iberoamericanos, die übrigens als eigene Rasse anerkannt sind, noch selten. Schätzungen gehen davon aus, dass nur wenige hundert Tiere auf dem gesamten Kontinent leben. Die Popularität dieser großen Gangpferderasse wächst jedoch stetig und man sieht die Barockpferde mit dem vierten Gang auch gelegentlich in der Öffentlichkeit, z.B. auf Messen, Shows und Turnieren.  

Fripa und der töltende Lusitano

Friesen-Paso-Kreuzung Flora…
…eine der bekanntesten barocken Tölt-Kreuzungen der Gegenwart
Auch über die anerkannte Rasse des Paso Iberoamericano hinaus gab und gibt es Barockpferde mit Tölt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Lusitanohengst Bonitão de Cadaval, der im Jahr 1998 sogar den begehrten Titel „Gangpferd des Jahres“ bei der Internationalen Gangpferdevereinigung gewann. Dieser rein gezogene Lusitano war darüber hinaus bis zur Grand Prix- Reife ausgebildet.
 
Ein weiteres Beispiel für ein töltendes Barockpferd absolut reinrassiger Abstammung ist der Friese Arco, der ebenfalls hoch erfolgreich im Gangpferdesport lief und sich im Jahr 2000 den „Gangpferd des Jahres“ sichern konnte. Durch diese beiden Beispiele wird deutlich, wie präsent der Tölt auch heute noch in den Genen zahlreicher vermeintlich dreigängig gezogener Barockpferde ist.
 
Eine weitere Möglichkeit, um Barockpferde mit „nach Belieben zuschaltbarem“ Tölt zu erhalten, ist die gezielte Anpaarung entsprechender Rassen miteinander.
 
Sehr bekannt ist hier die Stute Fripa, eine Friesen-Paso-Kreuzung. Sie war besonders in den 2000er Jahren im Gangpferdesport aktiv und zeigte sowohl spektakulären Tölt wie auch schwere Dressurlektionen bis über ihr 30. (!) Lebensjahr hinaus.
 
Die legendäre Stute Fripa genießt bis heute einen solchen Kultstatus, dass ähnliche Anpaarungen immer wieder gezielt unternommen wurden. So finden sich gelegentlich Kreuzungen aus Friesen und Paso Peruanos, die oftmals sehr deutlich die Merkmale beider Rassen vereinen. Das Gangpferd des Jahres 2022 war beispielsweise die Friesen-Paso-Kreuzung „Flora“.
 
Auch äußerst gelungene Anpaarungen von Lipizzanern mit Pasopferden hat es in der Vergangenheit gegeben. Das Ziel war immer dasselbe: Ein Barockpferd mit Tölt.

 


Und nun erlaube uns zum Abschluss ein Gedankenexperiment:
 

„Stell dir vor, du sitzt auf einem wunderschönen Barockpferd, das unter dir mit Leichtigkeit galoppiert und dich im Trab geschmeidig mitnimmt. Spielerisch zeigt es Dressurlektionen und erfreut dich mit seinem Eifer, seinem Stolz und seiner Erhabenheit. Und dann spürst du, wie dein Pferd unter dir noch ein wenig versammelter wird. Sein Gang wird ungeahnt bequem, fließend, geradezu sprudelnd: Es töltet! Fast erschütterungsfrei trägt dein Pferd dich dahin. Und du genießt das Gefühl wirklich bequemen Reitens.“

 



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