Was genau bedeutet eigentlich klassisch reiten (und was nicht)?

Wer an die klassische Reitweise denkt, hat oftmals zuerst das Bild der Barockreiter vor Augen. Und damit liegt er nicht falsch. Aber zusammen mit dem Barockreiten fallen unter den Begriff der klassischen Reitweisen auch einige weitere, und zwar solche, die sich an den Anleitungen alter Meister des 17. bis 19. Jahrhunderts orientieren.

Dazu zählen, je nach Auslegung, u. a. etwa die berühmte deutsch-österreichische „Wiener Schule“, die französische und die iberische Reitweise, die heutige Interpretation der alten italienischen Schule, die Schule der Légèreté und die Akademische Reitkunst (um nur einige zu nennen).


Klassisch reiten: Das Streben nach Leichtigkeit und Eleganz

Gemeinsam haben diese Reitweisen alle vor allem zwei Dinge: Ihren Ursprung und ihr Ziel. Beleuchten wir zunächst ihren Ursprung. Die Lehren gehen allesamt zurück auf die Gebrauchsreiterei der berittenen Krieger des Spätmittelalters und die daraus entstandene höfische Reiterei der Renaissance. In diesem Zusammenhang sind vor allem die schriftlichen Überlieferungen der „Pergamenthandschrift zu Wolfegg“ / „Das mittelalterliche Hausbuch“(von 1480) und „Le maneige royal“ von Antoine de Pluvinel (ca. 1605) zu nennen. Von Pluvinel stammen zwei berühmte Zitate:

„Das Pferd muss selber Freude an der Reitbahn haben, sonst wird dem Reiter nichts mit Anmut gelingen.“

und

„Wir sollten besorgt sein, das Pferd nicht zu verdrießen und seine natürliche Anmut zu erhalten, sie gleicht dem Blütenduft der Früchte, der niemals wiederkehrt, wenn er einmal verflogen ist.“

In diesen Zitaten drückt sich der Geist der klassischen Reitkunst aus.

 

Den Höhepunkt, aber auch Niedergang der höfischen Reitkultur erlebte ein Reitmeister hautnah mit, der heute wohl jedem Reiter ein Begriff ist: François Robichon de la Guérinière. In seinem 1733 erstmals erschienenen Buch „Ecole de Cavalerie“ beschrieb er die systematische Ausbildung des Pferdes vom Leichten zum Schweren, wobei er (wie zuvor bereits Pluvinel) jede Gewaltanwendung ablehnte. Er forderte, dass jedes Pferd individuell ausgebildet werden müsse, so wie es seiner individuellen Veranlagung entspricht. Das Werk Guérinières gilt noch heute als Grundlage für die klassische Reitkunst und begründete auch das System der modernen Dressur, auf das sich selbst die FN, zumindest auf dem Papier, beruft.

Manche der heutigen klassischen Reitsysteme beziehen auch Reitmeister der folgenden Jahrhunderte mit ein (allen voran die Werke von Baucher, ab 1833 veröffentlicht und zeitlebens weiterentwickelt). Baucher war schon zu Lebzeiten umstritten und spaltete die Reiterwelt in zwei Lager. Dies drückt sich in der Existenz zweier Haupt-Strömungen aus:

  • Zum einen diejenigen klassischen Schulen, die sich in der Tradition von Guérinière und seinen „geistigen Nachfolgern“ Seeger und Steinbrecht sehen. Zu ihnen zählt neben der barocken Reitweise z.B. die deutsch-österreichische Schule, wie sie etwa in der Spanischen Hofreitschule in Wien gepflegt wird. Und letztlich beruht sogar die offizielle Lehrmeinung der FN auf diesen Idealen, auch wenn sich die moderne Sportreiterei in der Praxis inzwischen weit von diesen entfernt hat.
  • Zum anderen existieren die stark an Baucher angelehnten Schulen. Das bekannteste Institut ist das französische Cadre Noir, aus dessen Reihen letztlich mit Philippe Karl der Begründer der École de Légèreté hervorging.

Nuno Oliveira, dem legendären portugiesischen Reitmeister und Vertreter der iberischen Schule, wird hingegen die Synthese der bis dahin konträr zueinander stehenden Systeme zugesprochen. Frei vom Schubladendenken, bediente er sich ganz pragmatisch der Mittel aller Schulen, wenn sie Erfolg in der Arbeit mit dem jeweiligen Pferd versprachen.


Das gesunde Pferd als Ziel der Reitkunst

Ganz gleich, welcher Lehrmeinung man letztlich den Vorrang gibt: Ein typisches Merkmal aller klassischen Reitsysteme ist ihr Streben nach einem hohen Versammlungsgrad der Pferde und die Betonung von Leichtigkeit und Eleganz. Das Ziel der klassischen Reitweisen ist – über alle Unterschiede hinweg – immer das systematische Fördern von Kraft, Koordination und Balance des Pferdes, über einen relativ lang angelegten Zeitraum hinweg, damit es seinen Reiter viele Jahre lang tragen kann, ohne selbst einen Schaden zu nehmen.

Dieser Wunsch ist fast so alt wie der Einsatz des Pferdes als Reittier selbst. Schließlich war das Pferd jahrhundertelang und in den allermeisten Kulturen so wertvoll und seine Ausbildung so teuer, dass kein Reiter ein Interesse daran hatte, sein Pferd frühzeitig zu „verschleißen“. Daher haben sich neben den die oben genannten Reitmeisten zu allen Zeiten Menschen damit befasst, wie das Ideal des gesunden, rittigen Pferdes zu erreichen ist. Durch Versuch und Irrtum haben sich dabei die Grundpfeiler der Pferdeausbildung herauskristallisiert, die wir heute in allen klassischen Reitweisen wiederfinden:


Die Natur des Pferdes bestimmt den Weg  

In der klassischen Ausbildung gibt letztlich immer die Natur des Pferdes den Weg vor. Seine arttypischen und individuellen physischen und psychischen Voraussetzungen bestimmen Art und Tempo der Ausbildung. Der Reiter strebt dabei eine Kooperation mit dem Pferd an, die darauf beruht, dass das Pferd in systematischer Weise mit den Kommandos (Hilfen) vertraut gemacht wurde und diese sowohl körperlich als auch geistig umsetzen kann.

Und weil jedes Pferd anders ist, gibt es nicht „den einen“ Weg. Vielmehr muss jeder Ausbilder eine Vielzahl von Möglichkeiten in seinem Werkzeugkasten haben, um verschiedene Pferde (und natürlich ggf. auch Reiter) bestmöglich zu schulen. Keinen Platz haben in diesem Zusammenhang beispielsweise

  • starre Ausbildungskonzepte
  • (übertriebener) sportlicher Ehrgeiz
  • unsachgemäß eingesetzte Hilfsmittel oder Übungen, die dem Pferd Schmerzen oder Schaden zufügen
  • und physische oder psychische Gewalt gegenüber dem Pferd – selbst, wenn sie aus Unwissenheit entsteht

 

Die klassische Reitweise und die FN 

Was unterscheidet die klassische Reitweise von der „FN-Reitweise“? Die Antwort ist für viele vielleicht überraschend: Im Kern nicht viel. Die Richtlinien der FN gehen auf die oben beschrieben Lehren von Guérinière und Steinbrecht zurück. Sie entsprechen damit den Grundsätzen der klassischen Dressur.

Im modernen Reitsport entsteht trotzdem oft der Eindruck, als wären „FN-Reitweise“ (auch gern als „englische Reitweise“ bezeichnet) und die klassische Dressur vollkommen verschiedene Ansätze. Wie kann das sein?

Schuld daran ist nicht die Grundlage beider Reitsysteme, sondern vor allem deren Interpretation und Umsetzung. Ein Pferd nach klassischen Grundsätzen (bzw. nach den Richtlinien der FN, wie sie auf dem Papier stehen) auszubilden, braucht Zeit und kostet damit viel Geld. Beides sind Faktoren, die nicht nur unter dem Druck des modernen Turniersports auf ein Minimum reduziert wurden. Auch Freizeitreiter sind oft nicht bereit, die Kosten für ein entsprechend ausgebildetes Pferd zu zahlen. Und so wurde Ausbildung im Schnelldurchlauf im System der FN eher die Regel, als die Ausnahme.

Das Ergebnis: Junge Pferde werden nicht selten in Lektionen gezwungen, die noch nicht ihrer physischen und mentalen Entwicklung entsprechen. Selbst erwachsenen Pferden fehlt die Basis, um sich in gesunder Art und Weise unter dem Reiter zu bewegen. Die Methoden, die zu schnellen Ergebnissen führen, führen langfristig zu Pferden, die schon in relativ jungen Jahren nicht mehr leistungs- und einsatzfähig sind. In der Praxis überwiegen also im Bereich der sportorientierten FN-Reitweise Ausbildungs- und Trainingsmethoden, die mit den klassischen Grundsätzen nicht mehr viel gemein haben. 

 


 

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