Stangengebisse – Gebisse: Das solltest du wissen – Teil 7


Im heutigen Teil der Serie „Gebisse – das solltest du wissen“ geht es um eine bestimmte Gebissform: Die Stangengebisse. Es gibt sie ohne Hebelwirkung und mit Hebelwirkung (dann handelt es sich um eine Kandare). Wir beantworten in diesem Artikel Fragen wie:

  • Welche Vorteile und welche Nachteile haben Stangengebisse?
  • Wie wirken sie beim Reiten?
  • Für welche Pferde und Reiter eigenen sie sich?
  • Wie wirkt eigentlich eine Kandare?
  • Warum ist eine Kandare ein Impuls-Gebiss
  • Was hat es mit der Kinnkette auf sich
  • u.v.m.

Die Autorin: Marina Wroblowski ist FN Trainerin A und Tierpsychologin und teilt in dieser Serie ihr Fachwissen rund um das Thema „Gebisse“ mit uns.


Übrigens: Hast du die ersten Teile dieser Serie schon gelesen? Wenn nicht, klick hier:

Was packst du deinem Pferd da eigentlich ins Maul? Gebisse: Das solltest du wissen – Teil 1

 


⚜️ Gebisse: Das solltest du wissen ⚜️

 

Stangengebisse


Die Vor- und Nachteile von Stangengebissen

Neben den gebrochenen Gebissen ist eine große Sparte die der Stangengebisse. Die Ringe können dabei durchlaufend oder feststehend sein, oder die Stange ist kombiniert mit einer Hebelwirkung. Dann wird sie Kandare genannt. 

Stangen haben, wie eigentlich alle anderen Gebissarten, Vor- und Nachteile. Grundsätzlich gilt:

  • Stangengebisse gehören in eine geschulte und wissende Reiterhand.
  • Stangengebisse sollten nur bei wirklich durchlässigen Pferden verwendet werden.

Wenn man ein Stangengebiss benutzt, sollte man sich im Klaren darüber sein, dass die seitwärtsweisende Zügelführung gänzlich wegfällt, genauso wie die einseitige Zügelhilfe. Das Stangengebiss darf nur beidseitig eingesetzt werden, da es sich sonst unangenehm im Pferdemaul verkantet. Das Pferd sollte daher sehr durchlässig am Sitz des Reiters sein und der Reiter in der Lage zügelunabhängig biegend und stellend auf das Pferd einzuwirken.

Ein großer Vorteil der Stangengebisse ist der Druck, der sich sich angenehm auf der gesamten Zunge, den Laden und den Maulwinkeln verteilt, aber eben nicht punktuell wirkt. Vielen Pferden gefällt diese Gebissform sehr gut, weshalb z.B. auch die Fürstliche Hofreitschule Bückeburg eine Baucher-Stange als „ihr“ Gebiss erkoren hat.

 


Die Wirkung von Stangengebissen

Eine Stange wirkt in erster Linie beizäumend, vor allem, da sie ja ausschließlich beidseitig eingesetzt wird. Pferde, die sich gern auf das Gebiss legen oder stark gegen die Hand werden wollen, finden hiermit oft zu einer guten Selbsthaltung. 

Stangengebisse gibt es auch mit Zungenfreiheit und/oder anatomischer Form. Auch hier gilt es, sich klar zu machen, dass eine große Zungenfreiheit bedeutet, dass mehr punktueller Druck auf die Zunge kommt. Obwohl das Wort „Zungenfreiheit“ etwas positives suggeriert, muss man doch wissen, dass als Faustregel gilt: Je größer die Zungenfreiheit, um so größer der punktuelle Druck auf die Zunge (und ggf. sogar eine Wirkung auf den Oberkiefer), so dass ein Gebiss mit großer Zungenfreiheit eher schärfer wirkt, als eines ohne oder mit kleiner Zungenfreiheit. Manchen Pferden ist die Zungenfreiheit angenehm, andere sind damit überfordert. Man sollte sich ruhig trauen, es auszuprobieren.

 


Hebelwirkung bei Stangengebissen – „Impuls-Gebisse“

Einige Gebissformen sind uns weiter oben im Kapitel „Hebelwirkung mit gebrochenem Mundstück“ schon einmal begegnet. So zum Beispiel das Pelham oder das Kimblewick. Wenn die Wirkung dieser Gebisse in der gebrochenen Form mit Hebel noch sehr schwammig und fragwürdig war, so bekommen sie einen ganz anderen und auch deutlich präzisen Wirkungsgrad in Kombination mit einem Stangen-Mundstück. Auch hier gilt, wie bei allen Stangengebiss, dass die Einwirkung ausschließlich beidseitig gegeben werden darf. Eine einseitige Zügeleinwirkung, geschweige denn eine seitwärtsweisende Zügelhilfe führt unweigerlich zu einem unangenehmen Verkanten des Gebisses im Pferdemaul. 

Stangengebisse mit Hebel können einen sehr starken physischen und psychischen Druck auf den Pferdekopf ausüben und sind sogenannte „Impuls-Gebisse“, das heißt der Zügelkontakt darf keinesfalls dauerhaft bestehen bleiben. Der Reiter sollte sehr zügelunabhängig reiten können und jederzeit die nachgebende Zügelhilfe anstreben. So wirkt bei einer Zugkraft von einem Kilogramm (was schon recht viel ist) die 2,5 fache Kraft, also 2,5 Kilogramm, auf den Kopf des Pferdes.


Dressurkandare und traditionelle Kandaren

Das Parade-Stangengebiss mit Hebelwirkung ist natürlich die Dressurkandare mit sieben Zentimeter langen Anzügen, welche in Deutschland meist mit Unterlegtrense und zwei Paar Zügeln geritten wird. In anderen Ländern, zum Beispiel Spanien, Portugal, Kolumbien, Peru und Amerika finden Kandaren ebenfalls häufig Verwendung. Landesabhängig sind diese Gebisse stark verziert, haben einen deutlich ausgeprägte Zungenfreiheit oder extrem lange Anzüge. Oft werden Gangpferde in anderen Ländern traditionell auf blanker Kandare geritten, also ohne die Vorteile der Unterlegtrense, ausschließlich beizäumend und kontrollierend. Verwerflich ist das nur, wenn das Pferd nicht genügend reitehrlich ausgebildet und auf diese sehr präzise Art der Reiterei vorbereitet ist. Eine blanke Kandare kann die Krone der Reitkunst darstellen und ist nicht selten angestrebtes Ziel in der Klassischen Reiterei.


Die Bäume der Pumpkandare Zeichnung: Marina Wroblowski

Eine Form des Stangengebisses: Die Pumpkandare

Im Speziellen möchte ich auf sogenannte Pumpkandaren eingehen, da sie in der barocken Reitweise oft zu finden sind.

Das Wort „Pump“ finde ich etwas irreführend, denn es bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass das Mundstück, an dem die Anzüge befestigt sind, etwas Spielraum hat, also nicht feststeht, wie bei einer Dressurkandare.

Das Pferd kann also das Gebiss im Maul leicht nach oben und unten bewegen und wird somit zur vermehrter Kautätigkeit angeregt, was durchaus einen Vorteil darstellen kann, wenn es um die Zufriedenheit der Hilfen-Annahme geht.

 


Die Bäume der S-Kandare im Vergleich. Zeichnung: Marina Wroblowski

Die S-Kandare

In der klassischen Reitweise finden wir auch die S-Kandaren. Diese hat ihren Namen durch die Form des Hebels, welche dem Buchstaben S gleicht.

Hierbei müssen wir noch eine kleine Unterscheidung machen, nämlich ob die S-Form des Hebels vertikal verläuft oder leicht nach hinten gewinkelt ist. Diese Wickelung hat nämlich etwas abmildernde Wirkung auf die vorhin erwähnte Zugkraft. Ist der S-Kandaren-Hebel nur um 30 Grad nach hinten gekippt, verringert sich die Kraft, die auf das Genick wirkt auf „nur“ 2,3 Kilogramm bei einem Kilogramm Zugkraft am Unterbaum. Die Hebelwirkung einer vertikal verlaufenden S-Kandare ist hingegen identisch zu der Dressurkandare. 

(Hier findest du ein Link zu einer physikalischen Erklärung der unterschiedlichen Hebelwirkungen) 


Kinnketten

Erst die Kinnkette macht die Kandare „komplett“. Deshalb darf auch eine Erklärung zur Kinnkette an dieser Stelle nicht fehlen. Die meisten Kinnketten bestehen tatsächlich aus Kettengliedern. Sie sind für die korrekte Wirkung von Hebelgebissen nahezu unabdingbar, da sie das Widerlager zu dem am Zügel aufgebrachten Druck darstellen.

In der Kinngrube des Pferdes verlaufen viele Nerven, weshalb es wichtig ist, dass die Kette dort korrekt ausgedreht zum Liegen kommt. Es gibt die Möglichkeit, die Kette mit einem gummierten oder stoffähnlichen Material abzupolstern.

Um eine präzise Einwirkung zu erzielen ist es von essentieller Bedeutung, dass die Kinnkette in der richtigen Länge verschnallt wird, nämlich wenn der Unterbaum des Hebelgebisses im 45 Grad-Winkel zur Maulspalte liegt. Dazu zieht man die Unterbäume bis zur genannten Winkelung an und schnallt dazu angepasst die Kette in das passende Glied ein. Wenn die Kinnkette zu eng verschnallt ist, wirkt sie zu früh, in Fachkreisen sagt man die Kandare/das Hebelgebiss „strotzt“. Man darf nicht unterschätzen, welch enorme Hebelkräfte auf das empfindliche Pferdemaul wirken. Es kann zu enormen Quetschungen und teilweise sogar Knochenabsplitterungen in den Unterkieferästen kommen, wenn zu viel Druck auf das Hebelgebiss ausgeübt wird.

Ist die Kinnkette zu locker verschnallt, ist sie keineswegs freundlicher, sie wirkt nur später, aber der Druck im Genick ist deutlich zu spüren und es kann ebenfalls zu schmerzhaften Quetschungen der Maulpartie kommen. Eine zu locker verschnallte Kinnkette am Hebelgebiss heißt im Fachjargon „durchfallend“. Ein Hebelgebiss ohne Kinnkette zu reiten geht, macht aber die Einwirkung für das Pferd sehr schwammig und ist damit wenig zielführend.

 


Du hast einen Teil dieser Serie verpasst? Dann klick dich rein!

Wir beantworten in dieser Serie spannende Fragen rund um das Thema Gebiss, z.B.:

  • Welches Gebiss passt zu welchem Pferd und Reiter?
  • Welche Wirkung hat ein welches Gebiss, gebisslose Zäumungen und Kandaren?
  • Welchen Effekt haben z.B. die Ringe des Gebisses beim Reiten?
  • Was ist der Unterschied zwischen verschiedenen Materialien?
  • Wie finde ich heraus, welches Gebiss meinem Pferd passt?
  • …und vieles mehr

Klick dich rein und lies gleich weiter!

Gebisse – das solltest du wissen: Die 7-teilige Serie

 


Die Autorin:

Marina Wroblowski ist FN Trainerin A (Gangreiten), Diplom Pädagogin und staatlich anerkannte Tierpsychologin. Zudem ist sie im Vorstand der American Saddlebred Horse Association (ASHA)

 

 


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