Islandkandare, Kimblewick & Co. – Gebisse: Das solltest du wissen – Teil 5


Im heutigen Teil der Serie „Gebisse – das solltest du wissen“ geht es um folgenden Fragen:

  • Welche Wirkung haben Gebisse, die ein gebrochenes Mundstück mit Hebelwirkung kombinieren?
  • Welche Verschnallungsmöglichkeiten gibt es bei verschiedenen Gebissen dieses Typs?
  • Wie wirken einige der bekanntesten Gebisse mit Hebelwirkung und gebrochenem Mundstück genau?
  • Wie differenzeirt kann der Reiter einwirken?
  • u.v.m.

Marina Wroblowski ist FN Trainerin A und Tierpsychologin und teilt in dieser Serie ihr Fachwissen rund um das Thema „Gebisse“ mit uns.


Übrigens: Hast du die ersten Teile dieser Serie schon gelesen? Wenn nicht, klick hier:

Was packst du deinem Pferd da eigentlich ins Maul? Gebisse: Das solltest du wissen – Teil 1

 

 

 


⚜️ Gebisse: Das solltest du wissen ⚜️

Gebrochene Gebisse mit Hebelwirkung


Hebelwirkung bei gebrochenem Mundstück – so wirkt es

Welche Wirkung gebrochene Gebisse haben, haben wir bereits in Teil 3 dieser Serie beleuchtet. Heute werfen wir einen Blick auf Gebiss- Kombinationen mit gebrochenen Mundstücken mit Anzügen, die eine Hebelwirkung auf das Genick das Pferdes haben. Da gibt es einige Varianten, z.B.

  • Drei-Ring-Gebisse (Bild siehe oben)
  • das Kimblewick
  • das Pelham
  • sogenannte Snaffle Bits with Shanks (also Wassertrense mit Anzügen)
  • die Islandkandare
  • u.v.m.

Alle Gebisse mit Hebelwirkung gelten als sogenannte „scharfe“ Gebisse, da die Kraftübertragung vom Zügel über die Anzüge auf das Pferdegenick und bei Nutzung einer Kinnkette (ist nicht bei allen Hebelgebissen vorgesehen) vervielfacht wird. Eine sensible und sitzunabhängige Zügelhand ist also unbedingte Voraussetzung für das Reiten mit Hebelgebissen.

Wichtig zu wissen: Der Hebel unterstützt in der Regel den sogenannten „Nussknacker-Effekt“, der dazu führt, dass sich einfach gebrochene Gebisse im Maul aufrichten und ggf. gegen den Gaumen stoßen, oder dass doppelt gebrochene Gebisse die Zunge einquetschen. 

Um eine tatsächliche Hebelwirkung zu erreichen, benötigt das Gebiss immer einen Oberbaum und einen Unterbaum, sprich auf physikalisch erklärt: Einen Lastarm und einen Kraftarm. Den Drehpunkt bildet hierbei der Maulwinkel des Pferdes bzw. das Gebiss an sich.

Wird das Gebiss mit Hebelwirkung zusätzlich mit einer Kinnkette versehen, so wirkt der Druck durch den Hebel früher auf das Genick ein, als ließe man die Kinnkette weg. Ohne Kinnkette ist die Wirkung wesentlich ungenauer und undefinierter, der Hebeldruck setzt erst recht spät ein.

Einige Hebelgebiss-Varianten werden „absichtlich“ ohne Kinnkette geritten und haben zusätzlich dazu noch verschiedene Verschnall-Möglichkeiten der Zügel. Ein gutes Beispiel hierfür ist das folgende Gebiss (die Erläuterungen dazu können aber sinngemäß auf ähnlich aufgebaute Gebisse übertragen werden):


Das Drei-Ring-Gebiss (Pessoa-Gebiss)

Die Drei-Ring-Gebisse bestehen entweder wirklich aus drei übereinander angebrachten Ringen, oder haben zwei kleine integrierte Ringe innerhalb des großen Ringes. Das Drei-Ring-Gebiss wird üblicherweise ohne Kinnkette oder Kinnriemen verwendet.

So kann die Drei-Ringtrense…

1. …so verschnallt werden, dass sie nur auf die Zunge einwirkt (Backenstück im oberen kleinen Ring, Zügel im großen mittleren Ring)

2. …mit Hebelwirkung verschnallt werden (Backenstück im oberen kleinen Ring, Zügel im unteren kleinen Ring)

3. …mit deutlichem Druck auf der Zunge fast ohne Hebelwirkung im Genick (Backstück im großen Ring verschnallt, Zügel im unteren kleinen Ring verschnallt). 

 


Das Kimblewick

Das Kimblewick, auch Springkandare oder Babykandare genannt, ist eine sehr schwammige Gebissform, wenn sie mit einem gebrochenen Gebiss kombiniert ist. Der Erfinder dieses Gebisses wollte sicherlich die Vorteile beider Zäumungen kombinieren, herausgekommen ist aber eine sehr ungenaue und nahezu ausschließlich auf Kontrolle bedachte Zäumung, die keine feine Hilfengebung zulässt.

Das Kimblewick wird mit Kinnkette geritten und wirkt auf das Maul des Pferdes, sowie sein Genick. Ist das Kimblewick mit einer Stange als Mundstück versehen, so hat es eine differenzierte Wirkung, auf welche bei den Stangengebissen, in einer späteren Folge, näher eingegangen wird.


Das Pelham

 

Das Pelham (s.o.) ähnelt einer Kandare sehr, es hat allerdings bewegliche Seitenteile. Da wir uns immer noch im Kapitel der gebrochenen Mundstücke befinden, wollen wir auch hier die Wirkung des Pelhams mit einfach gebrochenem Mundstück beleuchten.

Ein Pelham wird immer mit Kinnkette geritten. Im Idealfall reitet man mit zwei paar Zügeln und kann dadurch etwas präziser einwirken, indem der eine Zügel im großen Ring ausschließlich auf das Mundstück Einfluss nimmt, kann man mit dem zweiten Zügelpaar im unteren Ring die Hebelwirkung herbei führen. Nur so macht das Pelham mit gebrochenem Mundstück Sinn.

Benutzt man hingegen den sogenannten Delta-Zügel (auch Pelham-Riemchen genannt), eine Verbindung zwischen großem Gebissring und kleinem Hebelwirkungs-Ring, wie im Bild oben zu sehen, so kann das Pelham eigentlich ausschließlich zum bremsen und nachgeben, aber nicht zum feinen Erarbeiten nachgiebiger Hilfen genutzt werden.


Die Islandkandare

Nun fragt sich der aufmerksame Leser sicher, wann denn etwas über die Islandkandare berichtet wird. Jetzt ist es soweit. Die Islandkandare ist auch eine ganz interessante Erfindung mit der Hoffnung und Idee vielfacher Wirkung.

Es befindet sich meist ein einfach gebrochenes Mundstück an beweglichen meist sehr langen Unterbaum-Hebeln. Islandkandaren werden immer mit Kinnkette geritten. Der Oberbaum einer Islandkandare ist sehr kurz, da das Backenstück im großen Ring des Mundstückes eingeschnallt wird. Es hat also eine nur gering gradig ausfallende, sehr spät einsetzende Hebelwirkung, die nur bei deutlichem Zügelanzug zustande kommt. Das erklärt die vielen Bilder gerittener Islandpferde, deren Unterbäume der Islandkandaren nahezu an der Senkrechten sind, ohne dass es den Pferden unangenehm erscheinen würde. Die langen Unterbäume sorgen für ein gewisses Maß an seitlicher Stabilität für den Pferdehals und Kopf und können so mitunter sogar lösend für das Genick wirken.


Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aufziehtrense.jpg

Die Aufziehtrense

Eine mittlerweile nur noch sehr selten anzutreffende Gebissform ist die Aufziehtrense, wie im Bild zu sehen. Diese Gebissform besteht in der Regel aus einem einfach oder doppelt gebrochenen Mundstück und einem durchlaufenden Ring, in dem zwei Ösen eingearbeitet sind. Durch die beiden Löcher wird ein spezielles Backenstück geführt und Direkt mit dem Zügel verbunden. So entsteht bei Nutzung des Zügel nahezu direkt eine Hebelwirkung auf den Ring, welcher sich auf das Gebiss überträgt. Zusätzlich wird das Mundstück im Pferdemaul etwas angehoben, was beizäumend und aufrichtend wirken kann.

Die Aufziehtrense kann mit einem oder zwei Zügelpaaren geritten werden und gehört ausschließlich in erfahrene, wissende Reiterhände. Oft wird diese Gebissform beim Springreiten verwendet, da sie dem Reiter eine gute Kontrolle bei stark gegen die Hand ziehenden Pferden verschafft. In der dressurmäßigen Reiterei findet man dieses Gebiss eher selten, da auch hier eine gezielte feinabgestimmte Hilfengebung auf das Pferdemaul nicht wirklich möglich ist.

 


Snaffle with Shanks & andere

Und zu guter Letzt gibt es noch die „Nichts-Könner“ unter den gebrochenen Gebissen mit Hebelwirkung. Im Westernbereich nennt man sie Snaffle Bit with Shanks oder Tom Thumb Bit, meist einfach gebrochene Wassertrensen mit Ober- und Unterbaum, sowie Kinnkette.

Prinzipiell unterschieden diese sich nicht stark von Islandkandaren, außer, dass diese Gebissarten einen etwas längeren Oberbaum haben, sprich die Hebelwirkung bei Zügelnutzung früher einwirkt. Da es nur ein Zügelpaar in der Verschnallung gibt (genau wie bei der Islandkandare), hat der Reiter keinerlei Möglichkeit seitwärts weisend oder stellend einzuwirken.

Die Zügelhilfen sind ausschließlich parierend kontrollierend und fragen die Genicknachgiebigkeit ab. Die Gebissart findet man häufig in der Westernszene bei den Tennessee Walkern und Missouri Foxtrtottern sowie Speedracking Horses. Dementsprechend fein sollte die Gebissart von guten Reitern auch genutzt werden, nämlich tatsächlich ausschließlich beizäumend, meist nur über das leichte aufnehmen des durchhängenden Zügels. Dieses Gebiss ist sicher auch nur für die Reiterei am durchhängenden Zügel gemacht und kann keineswegs zu den harmlosen Gebissen gezählt werden.


…wer hier nun das Baucher-Gebiss vermisst hat, das beim IPZV tatsächlich zu den Gebissen mit Hebelwirkung gezählt wird, der kann sich auf den nächsten Teil dieser Serie freuen! 

 


 

Du hast einen Teil dieser Serie verpasst? Dann klick dich rein!

Wir beantworten in dieser Serie spannende Fragen rund um das Thema Gebiss, z.B.:

  • Welches Gebiss passt zu welchem Pferd und Reiter?
  • Welche Wirkung hat ein welches Gebiss, gebisslose Zäumungen und Kandaren?
  • Welchen Effekt haben z.B. die Ringe des Gebisses beim Reiten?
  • Was ist der Unterschied zwischen verschiedenen Materialien?
  • Wie finde ich heraus, welches Gebiss meinem Pferd passt?
  • …und vieles mehr

Klick dich rein und lies gleich weiter!

Gebisse – das solltest du wissen: Die 7-teilige Serie


 

Die Autorin:

Marina Wroblowski ist FN Trainerin A (Gangreiten), Diplom Pädagogin und staatlich anerkannte Tierpsychologin. Zudem ist sie im Vorstand der American Saddlebred Horse Association (ASHA)

 

 


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